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Endlich wieder Schule

Der Klassenraum, schön bunt und luftig, aber ohne Tische. 

Ich habe ja bereits auf meinem Blog geschrieben, dass ich die sieben Monate so ganz ohne Schule dann doch nicht verbringen möchte. Ich finde es einfach zu bereichernd, meinen Horizont auch in diesem Themenfeld zu erweitern. 

Wie funktioniert das Schulwesen in anderen Ländern? Wie gestaltet sich die Beziehung zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern? Was sind die Herausforderungen, was die Momente, die Gemeinschaft schaffen? 


Meinen ersten Versuch, eine Schule zu besuchen, startete ich auf Rarotonga. Von den Schulen, die ich anschrieb, meldete sich keine zurück. Über Facebook, wo ich in verschiedenen Gruppen für alleinreisende Frauen bin, fand ich eine Frau, die Lehrerin auf Rarotonga in einer Schule für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ist. Super: Angeschrieben, Nummern ausgetauscht, Verabredet! 

Wenig wusste ich zu dem Zeitpunkt von dem Phänomen, dass ich in meinem ersten Artikel über die Cookislands beschrieben habe: Eine Verabredung heißt noch lange nicht, dass ein Treffen auch wirklich zustande kommt. Es handelt sich eher um eine lose Interessenbekundung. Und so kam es dann auch, viele SMS später war ich plötzlich auf Aitutaki, ohne dass ich eine Schule auf Rarotonga von innen gesehen hatte. Macht nichts, go with the flow und eben nochmal auf Aitutaki versuchen. 

Und da hatte ich Glück! Ich durfte einen Tag mit der einzig englischsprachigen Lehrerin der Schule mitlaufen und die Jahrgänge 7, 8 und 9 besuchen. Wie aufregend für mich!! 


Es begann schonmal mit der Frage, was ich zu meinem Schultag anziehen sollte.

Zum einen hatte ich ursprünglich nur geplant, zwei Nächte (und nicht 16 Nächte – ich habe drei Mal verlängert) auf Aitutaki zu bleiben, weswegen ich nur mit Handgepäck angereist war.

Zum anderen sind die Cookislands eher christlich traditionell, sodass für mich klar war, dass ich so in die Schule kommen wollte, was ich für als angemessen betrachtete, nämlich mit bedeckten Schultern und Knie.

Am Ende entschied ich mich für meine Stoffhose und eine weiße Leinenbluse und war damit die einzige Lehrerin der Schule, die eine Hose und kein Kleid trug. Auch in der Kirche fiel ich mit meiner Hose auf, in offizielleren Rahmen tragen, wenn ich das richtig erkannt habe, die meisten Frauen Kleider. 

Typische Kleidung für die Kirche und auch in der Schule wurden Kleider getragen


Da ich vier Tage vor Beginn der Ferien in der Schule war, blieb im Unterricht Zeit für Spiele spielen und Deutsch und Cook Island Maori lernen und ich konnte endlich mal wieder mit Jugendlichen sprechen. Je nach Altersgruppe wollten die Schüler*innen verschiedene Wörter lernen: HuhnHundKatze in der 7. Klasse, ich liebe dich und du bist hübsch in der 9. Klasse. Wie bei uns. 

Generell ist mir klar geworden: Man kann sich auf der anderen Seite der Welt befinden, in einer Schule, die so anders aussieht als bei uns, und die Schülerinnen und Schüler könnten in ihrer Art auch vor einem in meiner Schule in Brandenburg sitzen. Am Ende sind wir eben doch alle nur Menschen auf der Suche nach Glück, Liebe und Freundschaft und Freude im Leben…


Das Miteinander im Unterricht war, vielleicht auch aufgrund der nahenden Ferien, relativ entspannt und es wurde viel gelacht. Schön für mich war, dass die Schüler*innen mir gegenüber sehr offen waren und sich sehr über meine Versuche, Cook Islands Māori zu sprechen, gefreut haben. Wie weit weg Deutschland dann aber ist, war dann jedoch doch, verständlicherweise, unvorstellbar für sie. Der Rahmenlehrplan ist übrigen größtenteils an den neuseeländischen angelehnt. 

Endlich wieder an der Tafel schreiben. GT bin übrigens ich – German teacher


Zwei Tage später wurde ich von der Schule zu einem traditionellen Tag eingeladen, einer der besondersten Tage meiner Reise, da bin ich mir sicher. 

Eine Schule aus Neuseeland war zu Besuch und zwei Stunden lang wurde verschiedenen traditionelle Tänze und Gesänge aufgeführt – der Haka aus Neuseeland, Kriegstänze und Trommelmusik aus den Cook Islands, die Nationalhymnen wurden gesungen und die Entstehungsgeschichte von Aitutaki wurde tanzend durch die Schüler*innen dargestellt. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, so junge Menschen, so selbstbewusst auf der Bühne, unglaublich. In der Kultur der Cook Islands und auch der Māori gehört das Lernen von Tänzen und Gesängen dazu und die Kinder beginnen schon im jungen Alter, überall zu singen und zu tanzen. Es ist wunderschön und sehr besonders für mich zu sehen! 


Übrigens, geplant für die Tänze waren 30 Minuten und nicht 2 Stunden, sodass spontan Programmpunkte gestrichen worden, beispielsweise das Knüpfen der traditionellen Blumenketten ei, für die die Schüler*innen zahlreiche Taschen voller Blumen gepflückt hatten. Wie oben geschrieben: Pläne ändern sich, go with the flow, genervt wirkte niemand auf mich aufgrund der Planänderungen. 

Verschiedene Tänze und Gesänge in der Aula, bei der Nationalhymne sind alle aufgestanden. Ich habe dort auch wundervolle Videos gemacht (die ich hier allerdings nicht hochladen kann), den Großteilder Zeit habe ich aber einfach ohne Handy jede Sekunde genossen. Blumenketten gab es für die Gäste und die Blumenkronen waren ein Schmuck. Dieser wird übrigens auch getragen, wenn man zu einem Geburtstag oder einer Party geht. 


Zeit blieb dann aber noch für das Flechten von Tellern, drei Schülerinnen versuchten es mir mit Begeisterung beizubringen und waren sehr überrascht, dass wir in Deutschland keine Palmenblätter haben. Die Jungen holten währenddessen Kokosnüsse von den Bäumen und rieben das Fleisch aus der Kokosnuss heraus. Zusätzlich wurde der Umu vorbereitet, ein traditioneller Ofen, in dem das Fleisch gegart wird, in unserem Fall vor allen Dingen Hähnchen. 


Nach einem Gebet gab es dann das Essen, zuerst für die Gäste, danach dann für die jüngeren Jahrgänge, am Ende für die älteren. Alle warteten geduldig, bis sie dran waren und riefen mir in der Wartezeit zu, was ich unbedingt noch probieren sollte, sodass ich am Ende wirklich zu kämpfen hatte, meinen Teller leer zu bekommen. Traditionell ist man übrigens mit den Fingern. 

Das Buffett wurde komplett durch die Lehrkräfte gestellt, die deutlich deutlich weniger verdienen, als wir Lehrkräfte in Deutschland. Das Bringen und Bereitstellen von Essen hat in den pazifischen Kulturen und der Kultur der Māori einen sehr großen Stellenwert, wie ich gelernt habe, was auch erklärt, weswegen ich so häufig Essen geschenkt bekommen habe. 

Das Flechten der Teller, von denen dann tatsächlich auch gegessen wurde. Es wird noch ein Blatt von einer Bananenstaude in den Teller reingelegt, damit die Flüssigkeit des Essens nichtdurchdieLöcher tropft. 
Der Umu. Aus Samoa kenne ich es, dass ein Loch in die Erde gegraben wird, in dem das Essen gegart wird, auf den Cook Islands ist es eher wie wie Grill. 
Ein kleiner Teil des Essens, aber das war alles, was aus dem Umu kam. Alles in der Mitte sind Hähnchen! 
Ich beim Essen und die frisch geriebene Kokosnuss in meinem Teller. Sehr, sehr lecker. 
Diese Blumenkrone wurde mir von der Besitzerin meiner Unterkunft für eine Feier geschenkt. Es gibt eine festgelegte Anzahl m Blumen, die man sowohl für die Ketten, als auch für die Kronen verwendet.
Diese Blumenkrone wurde mir von der Besitzerin meiner Unterkunft für eine Feier geschenkt. Es gibt eine festgelegte Anzahl m Blumen, die man sowohl für die Ketten, als auch für die Kronen verwendet.


Aufgrund der geringen Einwohnerzahl auf Aitutaki und meines Besuchs in der Schule sproch sich relativ schnell herum, dass ich Lehrerin und zusätzlich Sonderpädagogin bin. Die sonderpädagogische Unterstützung ist in den Cookislands ausbaufähig. 

Es gibt kaum finanzielle und personelle Mittel, Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu unterstützen. Auf den gesamten Cook Islands gibt es zwei Schulpsychologen, hierbei nur eine Frau, die auch auf den Cook Islands geboren wurde und Cook Islands Mãori spricht. 

Um sonderpädagogische Diagnosen zu erhalten, müssen die Kinder nach Rarotonga fliegen. Dies ist finanziell jedoch nicht für alle Familien möglich. Die Schule auf Aitutaki hat pro Jahr für zwei Kinder und deren Eltern die finanziellen Möglichkeiten, eine Reise nach Rarotonga zu zahlen. Die anderen Kinder müssen versuchen, die Schule trotz allem zu schaffen. 


Viele Schüler*innen mit Problemen gehen auch aufgrund der zahlreichen Frustrationsmomente selten zur Schule. Auch müssen viele Kinder zuhause auf ihre kleinen Geschwister aufpassen, da die Eltern wie im vorletzten Artikel geschrieben häufig mehrere Berufe haben und sich Kindergärten noch im Aufbau befinden. Die Thematiken von schulfremden Kindern und Unterstützung bei Schwierigkeiten sind somit sehr wichtig. 


Eine verzweifelte Mutter brachte ihr Kind zu mir in der Hoffnung, ich könnte eine Diagnose stellen und Tipps für den Umgang in der Schule geben, da das Kind dort große Probleme hatte, besonders mit dem Lesen, der Sprache und der Aufmerksamkeit. 

So etwas ist innerhalb eines zweistündigen Treffens natürlich kaum möglich, zumal ich das Kind nicht in der Schule besuchen konnte. Aber zum Glück habe ich wunderbare Kolleginnen zuhause in Deutschland, mit denen ich per WhatsApp in Verbindung stand und die zahlreiche Ideen hatten, sodass wir zumindest ein paar Tipps sammeln und weitergeben konnten. 


Es hat mich jedoch mit einer großen Trauer hinterlassen: Kinder mit besonderen Bedürfnissen haben auf den Cook Islands (und  natürlich nicht nur da) kaum Möglichkeiten, ihr volles Potenzial auszuschöpfen… Da haben wir in Deutschland schon wirklich sehr großes Glück und im Schulwesen schon viel geschafft, auch wenn natürlich auch da immer noch Platz für Verbesserung bleibt. 


P.S. Ein großes Dankeschön für alle eure Kommentare! Ich freue mich sehr, von euch zu lesen und dass ihr mich auf meiner Reise begleitet! Ich kann leider auf die Kommentare nicht antworten, also nicht wundern… Aber ich lese sie alle und freue mich! 

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Kommentare: 4
  • #1

    Heike Roesner (Sonntag, 30 Oktober 2022 11:05)

    Spannend was du schreibst - und sehr interessant!!!❤️ Sei ganz fest gedrückt!!

  • #2

    Bea (Sonntag, 30 Oktober 2022 12:09)

    Liebe Susanne, ich lese nun auch schon eine Weile still mit und finde deine Artikel super spannend! Das Fernweh wird größer �Ich wünsche dir weiterhin viele tolle Erlebnisse, Eindrücke und alles Gute auf deiner weiteren Reise! Liebe Grüße!

  • #3

    Mama (Sonntag, 30 Oktober 2022 15:33)

    Liebe Susanne! Du schilderst wirklich sehr Vielschichtig und farbenfroh die Besonderheiten des Schulwesens auf Aitutaki und die Erlebnisse mit den Schülerinnen und Schülern. Tolle Erlebnisse! Wie schön von dir über das Leben auf dieser fernen Inselwelt zu hören!
    Ganz liebe Grüße aus der Heimat und weiterhin viele schöne Erlebnisse!

  • #4

    Reinhard (Freitag, 11 November 2022 11:10)

    Erst jetzt komme ich zum Lesen deiner weiteren Reiseeindrücke; besonders guten Einblick in das Schulsystem hat meine Aufmerksamkeit geweckt, wie verschieden die Systeme aber der Mensch..wohl überall auf der Welt..Mensch ist!!!
    Danke für deinen Einblick in eine andere Kultur. Herzliche Grüße von Reinhard