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Kambodscha – Du Überraschung

Appreciate the similarities and respect the differences (ein Zitat von einer Frau aus Malaysia, mit der wir im Bus auf dem Weg zurück nach Thailand saßen) – Würdige und schätze Gemeinsamkeiten und respektiere die Unterschiede


 

Ich habe es ja schon im letzten Artikel geschrieben: Kambodscha, du schönes Land. 

Bei der Planung der Reise nach Kambodscha hatte ich, und ich kann wirklich nicht sagen, warum, gar nicht so eine Motivation, nach Kambodscha zu fahren. Klar, Angkor Wat, das UNESCO Kulturerbe zu sehen, reizte mich schon. Aber ansonsten, was würde uns erwarten? Vielleicht liegt es daran, dass ich bisher so wenig über Kambodscha gelesen und gesehen hatte. Ich kenne kaum jemanden, ob im „echten Leben“ oder online bei Reiseblogs oder in den sozialen Medien, der oder die das Land schon bereist hat und mir dadurch einen Einblick darein geben konnte, was uns dort erwarten würde. 

Aber zum Glück habe ich ja einen reisebegeisterten Freund an meiner Seite, der mich davon überzeugte, auf alle Fälle auch nach Kambodscha zu fahren. Und ich bin unglaublich froh, dass wir Kambodscha besucht haben.

 

In unserer Woche in Kambodscha haben wir die Hauptstadt Phnom Penh und die zweitgrößte Stadt Siem Reap besucht, bei der sich Angkor Wat befindet. 

 


Unsere Reise, von Ko Chang in Thailand nach Phnom Penh, von da aus nach Siem Reap und dann weiter nach Bangkok
Unsere Reise, von Ko Chang in Thailand nach Phnom Penh, von da aus nach Siem Reap und dann weiter nach Bangkok


Bereits die Anreise nach Kambodscha gestaltete sich als spannend. Was wir im Vorhinein gelesen hatten, war, dass man beim Grenzübergang aufpassen muss, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Kambodscha befindet sich auf der Liste der bestechlichen Länder unter den 20% der korruptesten Ländern der Welt (UN world Index). Bestechung ist überall, und besser bezahlte Jobs bekommt man nur über Vitamin B. Um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, hatten wir bereits im Vorhinein ein elektronisches Visum beantragt. Bei einem Visum on arrival, also einem Visum, dass man bei Einreise erhält, zahlt man wohl gerne mal 100 US Dollar anstelle der 30. Und in manchen Fällen muss man wohl auch 20 US Dollar bezahlen, damit das Gerät, dass die Fingerabdrücke abscannt, eingesteckt wird und funktioniert, eine Voraussetzung, um in das Land gelassen zu werden. Trotz unserer Vorbereitungen bezahlten wir am Ende etwas mehr. Für eine Karte, auf der steht, was man bei Covidsymptomen machen muss, zahlten wir 2 US Dollar. Für uns nicht viel, bei einem Monatslohn von 50 US Dollar dann doch eine gehörige Summe. 

Auf der kambodschanischen Seite sollte unser vorgebuchter und bezahlter Bus plötzlich erst in 2 Stunden kommen und für 10 US Dollar sollten wir die Möglichkeit erhalten, mit einem privaten Taxi bis zu einer Weggabelung 2 Stunden entfernt gebracht zu werden, wo wir dann auf einen anderen Bus warten sollten. Als wir meinten, wir würden auf unseren Bus warten, wurden wir plötzlich doch, ohne zu bezahlen, in dem Taxi mitgenommen, zusammen mit drei jungen Franzosen, die mit uns zur Weggabelung fuhren und zwei Kambodschanern. Das Auto war also mehr als ausgelastet und so holperten wir zwei Stunden über eine Straße voller Schlaglöcher und zahlreicher Abschnitte ohne Asphalt zu der besagten Weggabelung. Wir hatten Glück, der Fahrer entschied sich, mit uns die drei weiteren Stunden nach Phnom Penh zu fahren, die Franzosen wurden an der Weggabelung in einen Minibus verfrachtet und fuhren in eine andere Richtung weiter. 

Die drei weiteren Stunden entpuppten sich dann straßentechnisch als angenehm, da wir auf einer von der chinesischen Regierung gebauten Mautstraße fuhren (die chinesische Regierung hat ihren Einfluss in Kambodscha dank zahlreicher Investitionen sehr ausgebaut), für die wir dann am Ende 10 US Dollar Maut zahlen sollten. Als wir uns weigerten, entstand eine sehr unangenehme Stimmung im Auto, sodass wir den Fahrer am Ende auf die Hälfte herunterhandelten. Eine Erfahrung… 

Die Straße, vor aufgewirbeltem Staub kann man kaum den entgegenkommenden Mopedfahrer erkennen…
Die Straße, vor aufgewirbeltem Staub kann man kaum den entgegenkommenden Mopedfahrer erkennen…

In Phnom Penh angekommen verbrachten wir den Tag damit, uns mit der schrecklichen Geschichte der Schreckensherrschaft der roten Khmer in den 70er Jahren zu befassen. Wir besuchten ein ehemaliges Gefängnis, das in ein Museum umgewandelt wurde. Hier wurde anhand von Bildern, verbliebenen Folterzellen und eindrücklichen Audiodateien sehr nahegehend das Schicksal tausender Menschen beschrieben, die unter schlimmsten Bedingungen in dem Gefängnis eingesperrt, gefoltert und bis auf 14 Menschen alle getötet wurden. Frauen, Männer, Kinder, ein Großteil der Menschen Akademiker*innen, was dazu führte, dass zum Beispiel 89% aller Lehrkräfte und Erzieher*innen des Landes getötet wurden. Natürlich nicht nur in diesen Gefängnis, sondern in den 200 Gefängnissen, die über das Land verteilt waren und der Großteil der Menschen bei der Zwangsarbeit auf den Feldern und damit einhergehend Erschöpfung, Verhungern und Verdursten. Wenn ich das richtig im Kopf habe, wurden innerhalb der vier Herrschaftsjahre 25% der Bevölkerung in Kambodscha getötet, da kann ich jedoch auch falsch liegen, und das Land wurde zu einem der ärmsten Länder der Welt. Ein unglaublich schockierendes Kapitel des Landes, das bis heute kaum juristisch aufgearbeitet wurde und mir sehr nah gegangen ist. 

Das ehemalige Gefängnis und das einzige Foto, was ich an diesem Ort mit der unglaublich schrecklichen Geschichte gemacht habe, ich war zu schockiert für Bilder…
Das ehemalige Gefängnis und das einzige Foto, was ich an diesem Ort mit der unglaublich schrecklichen Geschichte gemacht habe, ich war zu schockiert für Bilder…
Außerdem wollten wir den Palast des Königs besuchen, der seit Covid allerdings geschlossen ist. Von außen ist er jedoch schonmal eindrucksvoll…

Mit dem Bus fuhren wir nach Siem Reap. Die Busfahrt führte uns durch die zahlreichen Dörfer des Landes (durch die Zwangsumsiedlungen durch die roten Khmer leben nach wie vor sehr viele Menschen in ländlichen Gebieten). Die Armut zahlreicher Menschen wurde hier deutlich sichtbar. Einfachste Holzhütten auf Stelzen, ohne Türen und Glasfenster, das Kochfeuer bis auf die Straße sichtbar, angekettet magere Kühe in den Vorgärten, und alles voller Plastikmüll. Und dann wieder riesige Autos, Lamborghini und Bentley, Steinhäuser, nach außen gezeigter Reichtum. Diese sichtbare Schere zwischen Arm und Reich kenne ich schon aus Costa Rica, wo ich während meines Auslandspraktikums in einem von meterhohen Zäunen umgebenen alarmgesicherten Haus wohnte, einen Kilometer von Favelas entfernt. Und auch in Cluj gibt es ja sowas, das hatte ich in meinem Artikel zu den Roma und Sinti beschrieben. In meinem Artikel zu Angkor Wat habe ich ja bereits über die Kinder geschrieben, die betteln gehen müssen. 


Aber auch Menschen, die nicht unter offenscheinig armen Bedingungen leben, haben nicht unbedingt ein leichtes Leben. Der Besitzer unserer Unterkunft, in der wir lebten, hatte beispielsweise drei verschiedene Berufe, um sich und seine Familie zu finanzieren. Er war sogar Lehrer gewesen, hatte den Beruf aufgrund der schlechten Bezahlung jedoch aufgegeben. Bis vor einiger Zeit verdienten Lehrkräfte 50 US Dollar pro Monat (!), mittlerweile sind es immerhin 250 Dollar, für ein angenehmes Leben benötigt man in Kambodscha wohl aber ungefähr 350 Dollar. Da somit alle Lehrkräfte Nebenjobs haben müssen, fällt der Unterricht für die Kinder häufig aus. Die Klassen sind mit bis zu 50 Kinder übervoll, und um an weiterführende Schulen gehen zu können, müssen die Kinder den Lehrkräften wohl häufig Bestechungsgeld zahlen. Für uns aus Deutschland unglaubliche Verhältnisse. Diese Situation führt dazu, dass viele Jugendliche die Schule abbrechen, auch um durch Arbeit die Familie finanziell zu unterstützen. 


Aber neben den ganzen schockierenden Dingen, die ich hier aufgezählt habe, muss ich ganz klar etwas festhalten. Cédric fragte mich nach fünf spontane Wörtern, mit denen ich Kambodscha beschreiben würde, und die möchte ich euch hier nicht vorenthalten: 


Resilient: trotz allem, was die Menschen in Kambodscha erlebt haben und erleben, strahlen sie eine ungebrochene Lebensfreude und Stärke aus.

Arm

Lebensbejahend: Wir konnten viel Freude am Leben beobachten. Gefallen hat mir der starke familiäre und freundschaftliche Zusammenhalt, es wird auf engstem Raum zusammen gelebt und gegessen, aber die Gemeinschaft scheint stark und unterstützend, nach Feierabend wird fast täglich zusammengesessen, getrunken und gefeiert.

Schön: eine wunderschöne Landschaft, Reisfelder, Tempel, spannende Städte

Offenheit: die Menschen Kambodschers sind uns mit einer unglaublichen Offenheit und Freundlichkeit begegnet, die oben beschriebene Bestechlichkeit merkt man nicht im alltäglichen Leben, also nichts, vor dem man Angst haben muss. Auch Aggresivität oder der Versuch, uns einzuschüchtern, war, bis auf die anfängliche Situation mit dem Taxifahrer nach dem Grenzübergang, nie wieder ein Thema. 


Kambodscha, du hast uns fasziniert und berührt, wir haben dich mit einem weinenden Auge verlassen. 


Gegensätze in Kambodscha und viele Stromkabel, besonderes Essen zu unserem Jahrestag, wieder zurück in Bangkok

Nachtrag zum Artikel zu Angkor Wat:

Es wurde beschlossen, dass die Menschen, die in Angkor Wat leben und über die ich berichtet habe, dort wegziehen müssen. Sie sollen in einen Ort umgesiedelt werden, der weder über eine Schule noch ein Krankenhaus verfügt und circa eine Stunde von Angkor Wat entfernt liegt. Die Menschen verlieren so ihre Lebensgrundlage, den Tourismus, die Kinder ihre Möglichkeit auf Bildung. 
Drei Artikel hierzu:

https://www.spiegel.de/ausland/angkor-wat-in-kambodscha-wenn-wir-weg-sind-sind-die-tempel-nur-noch-tote-steine-a-2c95510c-8c99-4c51-a18d-353bbe85fa39

https://www.spiegel.de/ausland/angkor-watt-in-kambodscha-regierung-laesst-haeuser-tausender-familien-raeumen-a-f1d70d5e-e8de-4bc7-8830-8e75126acb63?sara_ecid=soci_upd_wbMbjhOSvViISjc8RPU89NcCvtlFcJ

Artikel auf Englisch, mit eindrucksvollen Bildern:
https://www.theguardian.com/global-development/2022/nov/29/evictions-cambodia-angkor-wat-unesco-world-heritage-site

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Kommentare: 4
  • #1

    Heike Roesner (Sonntag, 04 Dezember 2022 01:33)

    Tragisch, traurig, spannend, wunderschön, weit weg, faszinierend, fremd. Seid fest gedrückt, ihr beiden Lieben! Heike

  • #2

    Bodo Danz (Mittwoch, 07 Dezember 2022 01:10)

    Liebe Susanne. Ich bewundere euren Mut und eure Neugier, mit der Ihr durch die Welt reist. Freuen uns auf weitere spannende Artikel. LG B&A

  • #3

    Fabian (Samstag, 10 Dezember 2022 02:49)

    Toll geschrieben, vielen Dank dass du die Eindrücke teilst und auch auf die Probleme eingehst. Bin gespannt was du in Berlin noch so erzählst!

  • #4

    Reinhard (Sonntag, 11 Dezember 2022 06:14)

    Eine andere Welt im „Warsten Sinne des Wortes“!
    Deine geschilderten Eindrücke,liebe Susanne, bestechen mich durch Euphorie und Neugierde auf eine andere Kultur; aber auch durch eine Traurigkeit, wenn ich die Bilder auf mich wirken lasse!!
    Es scheint sooo, dass es doch erhebliche Unterschiede in der Bevölkerung mit den entsprechenden Problemen gibt.
    Eine � Welt, die ich mir gerne anders wünschen würde! Die reichen Länder müssten sich viel mehr einschränken und mehr Wohlstand in anderen Regionen der Erde möglich machen!
    Aber dieses Thema ist ja allgemein bekannt.
    �☃️�☃️Grüße von Reinhard