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Leben in Cluj

„Bloß nicht lange zaudern und bloß keine Zeit auf die Suche nach dem Schönsten, Größten, Besten verschwenden. Man findet es ohnehin nicht und versaut sich durch den den missgelaunten Verdacht, dass man es woanders möglicherweise hätte besser treffen können, wirklich jede Chance auf entspannte Zufriedenheit.“ Meike Winnemuth: Das große Los.
„Bloß nicht lange zaudern und bloß keine Zeit auf die Suche nach dem Schönsten, Größten, Besten verschwenden. Man findet es ohnehin nicht und versaut sich durch den den missgelaunten Verdacht, dass man es woanders möglicherweise hätte besser treffen können, wirklich jede Chance auf entspannte Zufriedenheit.“ Meike Winnemuth: Das große Los.

Die ersten drei Wochen meines Sabbathalbjahres verbringe ich in Cluj–Napoca, Rumänien. Also zumindest die drei ersten Wochen, die ich nicht in Deutschland bin. Die erste Reise meines Sabbathalbjahres. 


Cédric lebt hier nun und da wollte ich natürlich sein Leben hier in Rumänien kennenlernen. Cluj stellt sich irgendwie als ganz anders dar, als ich es mir vorgestellt habe (siehe hierzu auch meinen Transsylvanienblogeintrag). Zwar hatte ich nur vage Vorstellungen von Cluj, aber die waren nicht so, wie Cluj in Wahrheit ist, besonders die Vielfältigkeit der Viertel hat mich überrascht. Aber nun gut, Cluj hat auch etwas über 300.000 Einwohner*innen, kein Wunder also, dass es viele verschiede Ecken gibt. 

Es gibt solche Häuser und Gebiete, und solche… 

Und noch viele mehr, zum Beispiel auch eine Gegend mit Einfamilienhäusern und großen Gärten, Stadtvillen usw. 


Überrascht hat es mich auch zu hören, wie so vieles hier, dass Cluj die zweitbedeutendste Stadt Rumäniens ist, die bedeutendste ist die Hauptstadt Bukarest… Das liegt an der großen Uni hier in Cluj, der Babes–Bolya. Die sorgt dafür, dass man sich hier überall leckeren Kaffee holen kann… 


Man kann sehr gut essen in Cluj, aber nur, wenn man nicht vegetarisch oder sogar vegan ist! Mein Lieblingsessen ist cabbage a la cluj in meinem neuen Stammlokal, Kohl mit Polenta, Tomaten und Speck vermischt und gebacken. Das habe ich die komplette erste Woche jeden Tag gegessen. 

Es gibt in Cluj einen schönen Park, den Parque central, in dem ich zu Beginn jeden Tag gesessen und gelesen habe. Momentan wird das Elektrofestival Untold vorbereitet, und die schöne Ruhe ist dahin. Dafür stehen plötzlich überall mystische Figuren, Bars werden aufgebaut und es scheint, als würde sich die ganze Stadt auf das Festival vorbereiten. 


Wer Abstand von dem Großstadtlärm möchte, kann auf einen kleinen Berg steigen, von dem aus man Cluj sehen kann. Außerdem gibt es einen wunderschönen botanischen Garten, zahlreiche Kirchen verschiedener christlicher Glaubensgemeinschaften und viele Museen (von denen ich, da bin ich ehrlich, allerdings noch keins besucht habe). Was nicht ist, kann ja noch werden… Der Großteil der Menschen in Rumänien sind christlich orthodox. Ich denke, so wie es ja meistens ist, dass der Glaube auf dem Land noch mehr gelebt wird, als in der Stadt. Aber auch hier in Cluj hat die Religion eine tragende Rolle, so werden zum Beispiel Gottesdienste über Lautsprecher auf die Straße übertragen, sodass die Menschen auf dem Kirchvorplatz stehen bleiben und dort am Gottesdienst teilnehmen oder sich zumindest bekreuzigen. Aufgrund der Geschichte der Region Siebenbürgens (hierzu wollte ich ja auch noch was schreiben) gibt es hier sogar eine Kirche, in der nur Gottesdienste auf Ungarisch abgehalten werden. 


Was uns ganz besonders beeindruckt hat, war der Park Ertnografic mit dem Romulus Vuia, ein nachgebautes Dorf mit Gebäuden aus alten Zeiten Rumäniens. Hier fühlten wir uns wie um 100 Jahre zurück in die Geschichte versetzt! Cluj lebt von seiner Liebe zur Musik und im September kann man hier im Park an einem Jazzfestival teilnehmen, das stelle ich mir ganz besonders vor. 

Beschäftigt hat mich, seitdem ich hier angekommen bin, sehr die Geschichte der Roma in Rumänien. Weil die Geschichte der Roma und Sinti so komplex ist, möchte ich mich dazu noch weiter belesen, ehe ich einen Blogartikel hierzu verfasse. Ganz klar ist aber: die Roma haben es sehr, sehr schwer in Rumänien. Grad heute sahen wir einen jungen Roma, der für seine Arbeit ohne Handschuhe Müll aus den Mülleimern in einem Park in eine große Mülltüte umfüllte, und diese dann entsorgte. Müllentsorgung auf menschenunwürdige Art. 

Bis vor 3 Jahren (!!!) gab es dies sogar noch im großen Stil, nämlich eine Mülldeponie in Cluj, die Pata Rât, auf welcher unsortierter Müll hingeworfen wurde, der dann durch Roma sortiert werden musste. Hier wurden auch Chemikalien entsorgt. Die Roma wurden gezwungen, hier zu leben und für einen Hungerlohn zu arbeiten. Die große Mülldeponie wurde geschlossen, noch immer gibt es aber Zwischenlager dieser Mülldeponie. 

Diese sorgen dafür, dass Cluj mit einer Krähenplage zu kämpfen hat. Die Krähen suchen sich tagsüber auf der Müllkippe zu fressen, und fliegen in der Abenddämmerung dann zu ihren Schlafplätzen auf der anderen Seite der Stadt, was dazu führt, dass abends tausende Krähen über die Stadt fliegen (und morgens wieder zurück zur Müllkippe, ein sehr seltsames Gefühl, morgens durch das Schreien tausender Krähen geweckt zu werden.) Übrigens: Man kann sich vorstellen, dass die Roma nicht freiwillig unter diesen menschenunwürdigen Verhältnissen leben und arbeiten. Zwangsumgesiedelt wurden die Roma tatsächlich noch 2010, nämlich auf das zur Müllkippe angrenzende Gebiet. In der Innenstadt ist, aufgrund der explodierten Immobilienpreise, kein Platz mehr für Menschen, die durch die Gesellschaft an ihren Rand gedrängt wurden. 

(Zum Weiterlesen: https://amp.dw.com/de/leben-im-müll-umweltrassismus-gegen-roma-in-rumänien/a-58852304)

Explodierende Immobilienpreise in Cluj und die letzten Krähen für den Abend auf dem Weg zu ihrer Schlafstätte.
Explodierende Immobilienpreise in Cluj und die letzten Krähen für den Abend auf dem Weg zu ihrer Schlafstätte.

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Kommentare: 2
  • #1

    Angelika Spörer (Mittwoch, 03 August 2022 15:09)

    Das klingt alles sehr interessant!!

  • #2

    Elisa (Montag, 15 August 2022 14:31)

    Lecker.. Lecker.. Wahnsinn tolle Fotos. Freu mich für dich und auf mehr Erlebnisse und Blogeinträge. Wunderbare Zeit wünsche ich dir �✈️�☀️�